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awogfli

Awogfli - Bookcroc

Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres

Handlung zäh wie Strudelteig

Der Weg ins Freie - Arthur Schnitzler

Dieses Buch verstößt gegen mein erstes literarisches Gebot: "Du sollst nicht langweilen". Ich muss dazu sagen, es ist nicht schlecht geschrieben und hat mich ganz wenig genervt, aber das ist ja nun auch kein Qualitätskriterium für eine Geschichte. Jetzt kann man natürlich sagen, es bildet ziemlich treffsicher und jüdisches Leben in Wien um die Jahrhundertwende ab und hätte damit punktgenau Recht, aber wenn jüdisches Leben derart langweilig und ereignislos ist, dann will ich es nicht kennenlernen und es ist meiner Meinung nach nicht wert, erzählt zu werden.

Prinzipiell bin ich ja ein veritabler Schnitzler-Fan, seine kurzen und knackigen Novellen strotzen im Plot nur so vor rasanter Handlung und klugen Wendungen und Schnitzlers Theaterstücke sind auch meist gespickt mit interessanten Dialogen und überraschenden Ereignissen, aber bei seinem ersten Roman muss ich mit Bedauern feststellen, hat er sich eindeutig überhoben. Der Plot gibt fast nichts her, er ist zu platt, flach und kurz, als dass er einen ganzen Roman ergeben könnte. Die kaum vorhandene Handlung und die zähen Ereignisse ziehen sich sprichwörtlich wie ein selbstgemachter Wiener Strudelteig im rohen Zustand. Es fehlt der Kick und das Tempo. Zusammengefasst - und ich halte mich diesmal wirklich nicht kurz, sondern erzähle wirklich alles: Der arbeitscheue adelige Lebemann und Nichtsnutz Georg, der a bissi auf Künstler macht, schwängert eine anständige Frau namens Anna, vertuscht es, kümmert sich ein bisschen während der Schwangerschaft um sie, während er schon wieder nach dem nächsten Opfer Ausschau hält. Die feine adelige und jüdische Gesellschaft besucht sich gegenseitig und parliert. Am Ende stirbt das Kind bei der Geburt. Der Adelsspross zieht auf der Flucht nach seinen Gefühlen in die Deutsche Provinz ins Kaff Detmold und arbeitet erstmals in seinem Leben tatsächlich an einer Provinzoper als Kapellmeister. Anna, die anständige Frau, ist mit der Trennung einverstanden und akzeptiert die Erkaltung der Beziehung. Punkt.

Naja nun mag man ja einwenden, dass auch bei Dosojewski nicht viel passiert, aber diese Russen können einfach besser politisch philosophieren und an Weltschmerz leiden als diese satten und flachen Wiener der High Society. Vergleicht man Der Weg ins Freie mit Doderers Strudelhofstiege, dann ist Schnitzlers Werk bei weitem besser, weil die jFiguren besser entwickelt sind und wenigstens keine Redundanzen vorkommen. Jetzt ist der eine Stern Abstand zwischen Doderer und Schnitzler eigentlich ungerecht, und nur der Tatsache geschuldet, dass man keine 0 Sterne vergeben kann, weil dann das Buch als nicht bewertet gilt. Insofern hätte nämlich der Doderer von mir mindestens einen Negativstern ausgefasst, so unterirdisch schlecht fand ich ihn. Ich kann aber auch nicht alles aufwerten, denn das würde die Abstände zu einigen anderen Büchern wieder falsch darstellen.

Einen positven Aspekt des Romans möchte ich aber dennoch anführen. Es sind die gut analysierten, subtil angesprochenen und im ganzen Plot verteilten Anfälle von Antsemitismus und die unterschiedlichen Reaktionen der jüdischen Figuren darauf, die die adelige, nicht betroffene Gesellschaft sehrwohl bemerkt und aus seiner privilegierten Sicht heraus teilweise sehr falsch beurteilt. Da werden grob antisemitische Äußerungen als Witz verharmlost, oder daran erinnert, dass der Verfasser doch sonst so ein anständiger Mensch sei und der berechtigte Ärger über den Antisemitismus als Verfolgungswahn diskeditiert. Erinnert mich an moderne Bücher wie "Warum ich mit Weißen nicht über Rassismus spreche". Zudem gibt es am Ende des ersten Drittel des Buches eine erschreckend prophetische Zukunftsvision zum Schicksal der Juden.

 

"Was Sie Verfolgungswahnsinn zu nennen belieben, lieber Georg, das ist eben in Wahrheit nichts anderes als ein ununterbrochen waches, sehr intenisves Wissen von einem Zustand, in dem wir Juden uns befinden, und viel eher als Verfolgungswahnsinn, könnte man von einem Wahnsinn des Geborgenseins, des Inruhegelassenwerdens reden, von einem Sicherheitswahn, der vielleicht eine minder auffallende, aber für den Befallenen viel gefährlichere Krankheitsform vorstellt."

 


Das erklärt sehr viel, dass die Juden noch 1938 nicht kommen sahen, was sich zusammenbraute, sie wurden Jahrhunderte des Verfolgungswahns bezichtigt und in Sicherheit gewiegt, dass die gewalttätigen Reden eh nicht ernst gemeint seien. Deshalb konnten sie sich nicht vorstellen, dass Gewalt in der Sprache, der sie jahrhundertelang ausgesetzt waren, auch irgendwann in Gewalt in Taten münden kann. Bei den Deutschen und Östereichern war zudem die moralische Hemmschwelle gegenüber den Juden durch die antisemitischen Reden über die Jahrhunderte ohnehin schon herabgesetzt.

Fazit: Langweilige Handlung aufgeblasen auf Romanlänge und langweilige Figuren aber sehr tief beschrieben mit guter Einsicht in eine Gesellschaft, die für mich wahrlich in dem Fall total uninteressant ist. Ungefähr 2,4 Sterne, die ich abrunde, denn.... "Schnitzler, das könnens wirklich besser, nehmens Ihnen ein Beispiel an Ihren eigenen Novellen am Leutnant Gustl oder an der Traumnovelle. Für einen Roman braucht es auch einen Plot der was hergibt, ansonsten schreibt man eine Novelle."