Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres
Wahrscheinlich bin ich die falsche Zielgruppe für diesen Roman, ich kann zwar sehr gut Empathie für überforderte Mütter entwickeln, aber wenn eine Frau fast zwei Jahre nur lamentiert und jammert, ohne zu bemerken, dass etwas mit ihr nicht stimmt, und nicht zu einem Psychologen geht, dann ist mir zwar bewusst, dass so ein Umstand durchaus sehr häufig vorkommen kann, ich muss aber nicht jeden Jammerer und Seufzer in einem Buch niedergeschrieben mitlesen und mitmachen. Wenn ich 75 Euro für eine knappe Stunde Gesprächstherapie kassiere, ist das ja in Ordnung, dann ist das mein Job, aber in einem Buch hat die hier ausgebreitete Depression in diesem gar so exzessiven Detaillierungsgrad einfach für mich zu wenig Existenzberechtigung.
Dabei fing alles eigentlich richtig gut an, ich mag ja Problemromane sehr. Eine überforderte Mutter schreibt in der Karenz mit Lagerkoller infolge der Einsamkeit und dem mangelnden Kontakt zu Erwachsenen Briefe an einen Frosch, ein Murmeltier, Jesus Christus, Mohammed, Schneewittchen, den Bundeskanzler, das Loch, in das sie zu fallen droht und an alle möglichen anderen realen und fiktiven Personen inklusive an Nutella. Sie schreibt sich auf kleinen Zetteln ihre Wut, ihren Frust, ihre Überarbeitung und Müdigkeit von der Seele.Ich wusste ja gleich, wie bei einem Kremayr und Scheriau Roman erwartet, dass es ein bisschen „innovativ“ werden wird, aber das war schon total abgefahren und hat mir am Anfang ausnehmend gut gefallen.
Zwischen Seite 160 und 200, als der Sohn mehr als ein Jahr alt war und abgestillt, sie teilweise auch wieder arbeitet, lamentiert sie aber weiter, es ist zu heiß, die Füße sind im Sommer geschwollen, im Urlaub hat sie Kopfweh, Heimweh, ihr ist schlecht, das Kind quengelt, weint, undundund. An diesem Punkt wird das Gejammer langsam lähmend und man möchte als Leser*in in das Buch hineinrufen, „geh endlich zu einem Arzt und lasse Dir Deine Depression behandeln“. Die Stimmung kippte bei mir etwa auf Seite 170 dieses unglaublichen Lamentos. Das ist so, wie wenn man einer Freundin immer aufmerksam zuhört, anfänglich Mitgefühl für ihre Scheiß-Situation hat und ihr Lösungsvorschläge bringen möchte, die sie nicht einmal anhören will. Die Freundin hat sich so an ihr Gesudere gewöhnt, dass sie Dich als Kummerkasten, als Auskotzstation missbraucht, sie suhlt sich regelrecht im Unglück und im armseligen Leben, in dem man sich selbst nur zu gerne eingerichtet hat. Irgendwann verdreht man nur noch die Augen, so ging es mir mit dem ewigen mittlerweile sinnlosen Gejeiere* im Roman, ich mochte mir nur noch die Augen zuhalten und der Autorin, da sie schreibt, einen Fingerknebel verpassen. Kein einziges positives Erlebnis mit dem Kind wird erwähnt. Nur einmal gibt es die neue Gefühlsregung Neid, als der Mann etwas Positives erlebt hat, denn das Kind ging seine ersten paar Schritte erstmals bei ihm.
Liebe Wölfin!
vermutlich liest du das und wirst lachen. Du wirst sagen: Aber das haben doch schon Generationen von Frauen vor Dir geschafft, mit mehreren Kindern und mit weniger Mitteln, also was soll das Gejammer?
Du hast natürlich Recht. Das ist alles Gejammer und das ist ja das Schreckliche. Gejammer ist weit entfernt von Literatur. Und Literatur ist das, was ich brauche, wie die Luft zum Atmen. Was ist das eigentlich für ein dämlicher, abgedroschener Vergleich? Und warum fällt mir kein besserer ein?
Auf Seite 217 kommt endlich die Erlösung, schließlich kommt auch die Protagonistin drauf, dass sie eine postpartale Depression hat und geht zum Arzt. Vor allem die Leserschaft seitenfüllend mit jedem einzelnen depressiven Furz zu quälen, und aus Innensicht auch noch tief in jeden Schas* hineinzuschnüffeln, ist schon ein starkes Stück und unnötiges literarisches Flagellantentum, das ich mir nicht unbedingt antun wollte und vor dem ich Euch auch warnen möchte.
Nach der Diagnose gibt es in Babyschritten eine positive Entwicklung der Hauptfigur, aber da musste ich schon zu viel Geduld vorher aufbringen, um ihr noch wirklich anteilnehmend zuhören zu können, allzu sehr hat mich die ganz Geschichte nur noch genervt.
Fazit: Der Roman Das Loch beschreibt sehr authentisch, extrem genau und für mich viel zu lange das Loch einer ausgewachsenen Depression. Ich kann eine Depression auch nachvollziehen und Empathie für Betroffene empfinden, wenn man mich nicht so quält, dass ich beim Lesen auch noch wütend und depressiv werde. Aber vielleicht sieht das jemand anders und ist diesbezüglich duldungsfähiger. Ich war es nicht.
*Schas, der = Furz auf österreichisch
*Gejeiere, das = Gejammer auf österreichisch mit einer weinerlichen Note inkludiert