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Awogfli - Bookcroc

Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres

awogfli und ein Abend mit Raphaela Edelbauer auf dem flüssigen Land

 

Schon sehr viel Begeistertes habe ich von meinen Kolleginnen @Bri und @thursdaynext vom Gemeinschaftsbuchblog Feinerbuchstoff über den Debütroman der Autorin Raphaela Edelbauer Flüssiges Land gehört, der recht überraschend 2019 sowohl auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises als auch der des Österreichischen Buchpreises gelandet ist. 

 

Zufällig bin ich in Facebook über eine Lesung bei mir zu Hause um die Ecke gestolpert. Edelbauer begab sich hinein in die Tiefen des flüssigen Landes und las ausgerechnet in Langenlois aus ihrem antifaschistschen Science Fiction Roman. Endlich rockte auch countryside, in einer der verstocktesten Gegenden mit urgrauslicher Nazi- und Neonazi-Vergangenheit wieder Mal die hohe Literatur. Dabei muss ich das moderne Langenlois ein bisschen in Schutz nehmen, dort existiert nämlich neben den fürchterlichen bekannten Protagonisten der rechten Szene auch eine ausgeprägte und lautstarke "linkslinke Gutmenschencommunity", die eben punktgenau zu diesem Abend geladen hatte.

 

 

Der Verlag Klett Kotta beschreibt den Inhalt des Erfolgsromans kurz  so:

Ein Ort, der nicht gefunden werden will. Eine österreichische Gräfin, die über die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde regiert. Ein Loch im Erdreich, das die Bewohner in die Tiefe zu reißen droht. In ihrem schwindelerregenden Debütroman geht Raphaela Edelbauer der verdrängten Geschichte auf den Grund.
»„Das flüssige Land“ [ist] eine abgründige und einfallsreiche Parabel auf Österreich und den Umgang mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit, ein philosophisch-phantastischer Roman«
Florian Baranyi, ORF, 25.08.2019

 

Neben einigen spannenden Szenen, die die Autorin gekonnt vorzutragen wusste, gabs auch einges an Hintergrundinformationen, die ich Euch unbedingt erzählen möchte. Edelbauer wurde zum Schreiben des Romans durch zwei äußere Faktoren inspiriert. 

 

Der erste war, dass sie vor ein paar Jahren zur Zeit der Bundespräsidenten-Wahl zwischen Alexander van der Bellen und dem FPÖ-Politiker Norbert Hofer bemerkte, dass früher nie Ausgesprochenes - weil es moralisch verpönt war - plötzlich wieder lautstark und öffentlich - oftmals unter Zustimmung und Beifall - geäußert werden konnte und durfte. Die jahrelang recht stummen, mundtoten und bisher verdeckten Nazis krochen wieder aus ihren Kellern und rülpsten den rechten Dreck lautstark durch das Land. 

 

Edelbauer war zudem während ihres Studiums mit einer der schlimmsten Identifikationsfiguren der rechten Szene konfrontiert. Sie saß mit Martin Sellner, dem Chef der Identitären, im Philosophieseminar. Neben dem manischen Zitieren von ausschließlich rechten Philosophen war sie auch noch mit anderen total kruden, bekloppten Gedankenkonzepten aus längst überwunden geglaubter grausamer und grauer NS-Vorzeit von ihm konfrontiert. Das Land gehört nicht nur den Leuten sondern die Rasse gehört auch zum Land, sie ist unabdingbar für das Überleben in einem bestimmten Landstrich. Da bei uns bekanntlich so viele Wälder vorherrschen, dienen die blauen Augen der germanischen Rasse dazu, unter den Bäumen im Wald überhaupt etwas sehen zu können, was mit braunen Augen nicht möglich sei. 

 

Das ist doch total bekloppt oder?

 

Der zweite Grund für Edelbauer, diesen Roman zu schreiben, war die von ihrem Heimatort Hinterbrühl bei Mödling ebenso wie im Roman kollektiv verdrängte historische Wahrheit, die sie erst so spät realisierte. In der dortigen Seegrotte Hinterbrühl war früher ein Außenlager des KZ-Mauthausens, in dem Häftlinge unterirdisch Flugzeuge bauen mussten. Die Minigemeinde ist auch verantwortlich für ein Massengrab an exekutierten Häftlingen, die der damaligen Einwohnerzahl des Dorfes gleichkommt. Als die Autorin diese im Heimatort verschwiegene Geschichte erstmals hörte, begann sie zu recherchieren und ihr fiktives Dorf Gross-Einland entstand in ihrem Kopf, das übrigens sehr viel mit der Hinterbrühl gemeinsam hat. Tief unten in der Erde ist ebenso ein verdrängtes Loch, das Dorf senkt sich gleichsam wie sein literarisches Vorbild und droht einzustürzen. Details zur historischen Bedeutung der Seegrotte in der Hinterbrühl findet Ihr hier.

 

Den Roman habe ich ja noch nicht gelesen, meine Rezension und Meinung folgen im Laufe des Jahres, aber eines weiß ich jetzt schon: Es war ein spannender Abend mit einer jungen, ambitionierten und interssanten Autorin, die auch abseits ihres Werkes viel spannendes Hintergrundmaterial geliefert hat. Die Lesung war ein fast rundum gelungener Abend, wenn ich über die für mich fürchterliche  Begleitmusik, in Form von Fahrstuhlmusik-Dudel-Jazz (versteht mich nicht falsch, ich liebe Jazz und war früher immer am Jazz-Festival in Wiesen) hinwegkommen könnte.