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awogfli

Awogfli - Bookcroc

Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres

I will survive

Sal - Mick Kitson

Dieses Drama, das vom Autor in einem sehr außergewöhnlichen Setting platziert wurde, hat mich sehr positiv überrascht und ungemein berührt.

 

Die dreizehnjährige Sal hat eine furchtbare Kindheit hinter sich und versucht, durch unterschiedliche psychologische Überlebensstrategien nicht komplett unterzugehen. Dabei hat sie konsequenterweise tatsächlich den Ausweg Survival-Training gewählt, ist mit ihrer Schwester Peppa von zu Hause geflüchtet und lebt nun alleine mit ihr im Wald, fernab jeglicher Zivilisation. Sie hat ihre Flucht generalstabsmäßig geplant und sich alle Überlebenstricks und Aufgaben in der Wildnis durch das Internet beigebracht. Es zerreißt einem das Herz, wie dieses kleine noch nicht mal in der Pubertät befindliche Mädchen jeden Tag zwanghaft plant, wie Essen zu beschaffen, wie ein Unterstand zu bauen ist und wie die beiden Schwestern verhindern, von den Behörden gefunden zu werden.

 

Nach und nach wird dem Leser scheibchenweise konsistent enthüllt, warum diese einschneidende Maßnahme notwendig war: Der Mutter ist als Alkoholikerin alles total egal, ihr Lebensgefährte hat sich schon jahrelang an Sal vergangen und nun auch gedroht, Peppa zu vergewaltigen. Aus Liebe zu ihrer Schwester, um ihr das eigene Schicksal zu ersparen, sah Sal sich genötigt, den Stiefvater – quasi als proaktive Nothilfemaßnahme – zu ermorden. Komplett abgeklärt – fast als wäre Sal nicht betroffen, sondern nur teilnehmende Beobachterin – schildert das kleine traumatisierte Mädchen ganz sachlich ihre Beweggründe und Taten. Wer sich mit solchen Biografien auskennt, weiß genau, diese Distanz ist auch nur eine der Überlebensstrategien, anders – wie zum Beispiel mit Selbstmitleid – wäre dieses Leben gar nicht zu ertragen. Weil Sal ja auch schon mit ungefähr vier Jahren ihre Schwester auf Grund der Alkoholsucht ihrer Mutter versorgen und sich immer zusammenreißen musste, wird dem Leser eine uralte, abgeklärte, nur noch sachlich agierende, verletzte Seele im Körper eines Kindes präsentiert, das sich ständig sorgt und Probleme lösen will, bevor sie entstehen. Das hat mich tief getroffen, dass dieses Kind nie eine Kindheit hatte. Einzig in der Liebe zu Peppa taut Sal ein bisschen auf.

 

Als Peppa eine von Sal nicht proaktiv abgecheckte und eingeplante Verletzung erleidet, die sich in der Wildnis schnell zum lebensbedrohlichen Ereignis entwickelt, treffen die beiden Mädchen auf Ingrid, eine ebenso im Wald lebende ehemalige Ärztin und Aussteigerin, die durch ihre Vergangenheit in der DDR auch ein bisschen traumatisiert ist. Sie hilft den beiden Mädchen und gibt insbesondere Sal das erste Mal in ihrem Leben Halt und Liebe. Zeile um Zeile kann die LeserIn beobachten, wie Sal durch diese erste liebevolle Bezugsperson immer mehr Sicherheit bekommt, sich schrittweise öffnet und Vertrauen fasst. Auch Ingrid überwindet durch diese Beziehung ihre Depression und erzählt von ihrer Vergangenheit. Irgendwie ist diese ganze Geschichte angewandte Gesprächstherapie und Familienaufstellung, zu der letztendlich auch die Mutter und ein guter Freund der Familie noch irgendwie als reale Figuren und aufzuarbeitende Beziehungen dazukommen müssen.

 

Das Ende ist zwar offen, was mich aber ausnahmsweise gar nicht gestört hat, da es einen teilweise sehr schönen und nicht abrupten Abschluss hat: Die Erwachsenen entlassen Sal aus der Verantwortung für ihre Schwester und für ihr eigenes Leben, sie darf endlich Kind sein. Somit kann, muss und soll sich Sal nun auch ihren eigenen Taten stellen. Wie es weitergeht, steht zwar in den Sternen, aber ein wichtiger Anfang ist gemacht, damit alles gut werden kann.

 

Das Tempo der Handlung ist gemächlich, was aber absolut angebracht ist, um stehenzubleiben, innezuhalten und dieser Entwicklung auch den nötigen Raum geben zu können. Mick Kitson gelingt es meisterhaft, durch die kindliche Ich-Erzählweise, authentisch alle Gefühle zu transportieren. Mich hat zudem gerade dieser distanzierte, oftmals sachliche Erzählstil des Mädchens häufig zu Tränen gerührt.

 

Fazit: Ich habe mitgefühlt, gefroren, gehungert, gebangt, geweint, gehasst, geliebt und geschmunzelt. Eine großartige, konsistente Geschichte und psychologische Analyse, wundervoll dargestellte Beziehungen, eine grandiose Entwicklung der Protagonisten mit einem sich vielleicht in Zukunft andeutenden Happy End in einem innovativen Setting sehr menschlich präsentiert. Absolute Leseempfehlung von mir.