Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres
Eine psychotherapeutische Abhandlung und Betrachtung über die Liebe, Liebesfähigkeit und Liebesbeziehungen fand ich schon immer sehr spannend, viel interessanter als den philosophischen Blickwinkel. Insofern war ich schon sehr neugierig auf das Buch meiner Lieblingstherapeutin, die sich auch noch ab und an sehr erfolgreich als Journalistin in meiner vielgeliebten Straßenzeitung Augustin betätigt, denn auf Grund der Qualität ihrer Reportagen wusste ich zudem, dass sie gut und pointiert zu formulieren vermag.
Im ersten Kapitel Lieben für Anfänger startet sie auch schon sehr ambitioniert und analysiert die kindliche Prägung von Liebe. Gut erklärt, recht strukturiert aufgebaut und spannend aufbereitet thematisiert sie, wie die Erziehung der Eltern bereits vom Mutterleib über die frühkindliche Prägung bis zur Pubertät die Liebesfähigkeit im Erwachsenenalter beeinflusst und warum, beziehungsweise inwiefern, schon in dieser Phase bei vielen Menschen bezüglich der Defizite beim Thema Liebesfähigkeit im Erwachsenenalter der Hund begraben liegt, der nur mit einer ausreichenden Auseinandersetzung und Therapie wieder repariert werden kann.
Bereits in dieser Phase bemerkte ich jedoch etwas konsterniert, dass Begriffe nicht im Text, sondern in Endnoten – also am Ende des Buches – erläutert wurden, und der Leser somit für eine ausreichende, eigentlich gar nicht so in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit dem Thema vor und zurückblättern musste. Versteht mich nicht falsch, wir reden hier nicht von Fuß- / Endnoteninformationen wie Quellen oder fade wissenschaftliche Definitionen, sondern tatsächlich von essentiellen therapeutischen Erklärungen, die eigentlich der Fließtext unbedingt liefern sollte.
Hält sich diese konzeptionelle Unsitte und rezensionsmäßige Katastrophe im Kapitel Lieben für Anfänger in homöopathischen Dosen noch in einem gewissen Rahmen, so entgleitet und eskaliert dieser Irrsinn (sorry für diese nicht therapeutische falsche Metapher sie fungiert hier vielmehr als literarische Übertreibung) in den folgenden Kapiteln total. Wenn ich auf einer kleinen Seite bis zu fünf Mal hin und her blättern muss, hört sich der Spaß und somit auch der Lesegenuss auf, so eine Struktur hat im sequentiellen Medium Buch einfach nix verloren. Vor allem weil ich im Jahr ca. zehn Fachtexte und wissenschaftliche Abschlussarbeiten betreue, lese und bewerte, kann ich so etwas wirklich sehr gut beurteilen.
So habe ich im Kapitel Lieben für Fortgeschrittene, in dem es um Paarbeziehungen ging, irgendwann einmal aufgegeben zu blättern, weil es mir einfach zu mühsam war und ich mich von einer schlechten Struktur nicht verarschen lasse – und – welche Überraschung – mir fehlten wirklich wesentliche Inhalte, die mir die Konzepte und Gedanken der Autorin erläuterten. Die herangezogenen Analogien, die zu weit hergeholt waren, die nicht erklärten Konzepte und die an den Haaren herbeigezogenen bzw. aus der Mottenkiste hervorgekramten Zitate aus Musik, Literatur, Philosophie etc. prasselten blitzlichtartig im Telegrammstil auf mich ein.
Je weiter man von der Lichtquelle über uns entfernt ist, desto größer ist der Schatten, erst wenn man direkt unter ihr steht, wirft man keinen mehr weil man ihn integriert.
Heute kommen zu diesen üblichen mahnenden Besserwissern die schnell „laufenden Bilder“ (movies) aus Film und Fernsehen dazu (damit dem Publikum nicht langweilig wird und es einen anderen „Sender“ – im Doppelsinn des Wortes – sucht. Sie sind beteiligt an dem Phänomen der „ruhelosen“ (Buchtitel von Vance Packard), „beschleunigten“ (Buchtitel von Peter Glotz) oder „flüchtigen“ Gesellschaft (Buchtitel „Flüchtige Moderne“ von Zygmunt Baumann), in der viele Gefühle „auf der Strecke bleiben“ – denn Fühlen braucht Zeit.
Man beachte, dass weder die Autorin noch das Lektorat bei diesem Einschubwahnsinn den Überblick über die aufgerissenen Klammern behalten konnte, denn die Klammer vor dem Wort damit in der zweiten Zeile wird niemals geschlossen.
Wenn man dann aus diesem abgebrannten Feuerwerk an nebensächlichen, aber intellektuell eitlen Belanglosigkeiten aus anderen Genres und schlechten Strukturmerkmalen einmal den psychotherapeutischen Nukleus extrahiert, kommen schon spannende Erkenntnisse aus den unterschiedlichst kranken und gesunden Paarbeziehungen heraus, aber dieser ist derart völlig verschüttet, dass er erst mühsam aufgestöbert und vom ganzen Tand befreit, beziehungsweise fast schon mit dem Hochdruckreiniger gesäubert werden muss.
Ehrlich gesagt habe ich im dritten Kapitel – Lieben für Meister*innen dann ob der oben genannten Mühsehligkeiten geistig ein bisschen abgeschaltet und kann nur mehr sagen, dass hierzu dann viel Osho (Bhagwan)- und Tantrageplänkel bei mir eben genau nicht hängengeblieben ist, denn bei diesem Thema schalte ich sowieso auf Durchzug. Den Rest des meisterlichen Liebens habe ich leider vergessen. So werde es auch im Alter bedauerlicherweise nie zur Meisterschaft in dieser Disziplin bringen ;-)
Fazit: Eigentlich recht gute Inhalte, die durch eine total verhunzte Struktur und durch einen unsäglichen Stil total schlecht präsentiert werden.
*das ist ironisch gemeint – nichts gegen die schwedischen Bedienungsanleitungen