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awogfli

Awogfli - Bookcroc

Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres

Eskalation eines Psycho-Kleinkrieges

Der Professor - Amélie Nothomb, Wolfgang Krege

Im Rahmen meiner Autorinnenchallenge komme ich jetzt öfters in eine Enscheidungskrise und diesmal stellte sich beim Buchstaben N die Frage: Nothomb oder Niffenegger? Da mein Goodreads-Lesefreund Semion wahrscheinlich die Zwillinge von Highgate lesen wird, habe ich mich für die mir bisher noch nicht bekannte Autorin Nothomb entschieden, und ich bin positiv überrascht. Dies wird sicher nicht das letzte Buch bleiben, das ich von dieser Schriftstellerin lese.

Die Geschichte ist relativ simpel mit sehr wenigen Protagonisten strukturiert. Das pensionierte Ehepaar Hazel - Emile und Juliette - er war Lehrer für alte Sprachen - erfüllt sich endlich den Lebenstraum vom einsamen und einfachen Landleben. Abseits einer kleinen Ortschaft stehen zwei Häuser, die Zivilisation in Form eines Bauernladens ist leicht erreichbar, der noch unbekannte Nachbar ist praktischerweise auch gleich Arzt. Wie passend!

Der bereits in den Plot eingeführte Nachbar, Monsieur Palamede Bernadin, übt sich ab dem ersten Tag wie Sun-Tse in der Kunst des Psychokrieges. Jeden Tag kommt dieser Quälgeist um 4:00 Uhr Nachmittags vorbei, bleibt bis Punkt 6:00 Uhr, schweigt mürrisch und antwortet einsilbig wenn er was gefragt wird, bleibt aber hartnäckig im Wohnzimmer sitzen. Der gesamte Besuch ist eine einzige Qual und vergällt dem Ehepaar ihren Traum vom friedvollen Leben in der Idylle. Das Ehepaar Hazel hat auf Grund ihrer Erziehung zur Höflichkeit am Anfang wenig Instrumente, sich gegen das schlechte Benehmen des Invasoren in die häusliche Gemütlichkeit zu wehren. Aber nach und nach, gemäß der Kunst des Krieges beginnen die Hazels, Strategien als Gegenmaßnahmen zu entwickeln, die Palamede stets mit einer weiteren Eskalation beantwortet. Da hilft es aber auch nichts, einfach nicht zu öffnen, Monsigneur Bernadin poltert so laut an die Türe, dass er sie beinahe einschlägt, wenn Juliette Hazel krank ist, entblödet sich dieser übergriffige, unhöfliche Mensch doch tatsächlich nicht, im Schlafzimmer der Kranken aufzutauchen und sich hinzufläzen.

Die nächste Finte der Hazels ist, die Frau von Palamede miteinzuladen um etwas Schwung in die Konversation und die nachbarlichen Beziehungen zu bringen. Dieser Abend gerät zum absoluten Desaster:

"Eine Zyste, dieses Ding war eine Zyste! Eva war aus der Rippe Adams gemacht worden, und Madame Bernadin war sicherlich als Zyste im Bauch unseres Quälgeists herangewachsen. [...] Bernadette besaß keine Nase; zwei undeutlich erkennbare Löcher schienen der Atmung zu dienen. Zwei schmale Schlitze oberhalb davon öffneten sich vor den Augäppfeln, doch konnte man nicht mit Sicherheit sagen, ob diese Augen etwas sahen. Am meisten zu denken gab der Mund: man hätte meinen können, der eines Kraken. Ich fragte mich, ob diese Öffnung  wohl Laute hervorbringen konnte."

Zug um Zug steigert sich dieser Kleinkrieg und nach einem Eklat, begeht Palamede Bernadin einen Selbstmordversuch., der von Emile Hazel vereitelt wird.  Nun wird das Ehepaar noch weiter in den Strudel der Angelegenheiten der Nachbarn hineingezogen, denn die offensichtlich behinderte Nachbarin Bernadette benötigt Hilfe, solange ihr Mann im Krankenhaus weilt und irgendwie fühlt sich Emile immer mehr verantwortlich.

So geht die Story mit 2 Schauplätzen 4 Personen mit viel Action weiter, ein Psychokrieg der kleinen Nadelstiche. Kennt Ihr den Film "Das Duell" von Stephen Spielberg genauso ist die Stimmung und der Plot - sehr minimalistisch inszeniert - aber es tut sich wahnsinnig viel von der tiefenpsychologischen Seite her.   

Das Ende des Romans ist sowohl total moralisch verwerflich als auch atemberaubend, da ich zugeben muss, meine moralischen Skrupel ein bisschen über Bord geworfen zu haben und die schändliche Tat beginne, ein klein wenig zu rechtfertigen - beziehungsweise kann ich sie ein bisschen nachvollziehen.

Fazit: Für Fans der vielen Personen, des Gewusels und der Action in Romanen vielleicht ein bisschen zu minimalistisch, für mich aber absolut lesenswert und psychologisch köstlich! Definitv nicht die letzte Nothomb - Tipps von Euch diesbezüglich sind mir herzlich willkommen.