Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres
Tja was soll ich zu diesem Roman sagen: Erwartet habe ich mir eine rasante, witzige Story um ein geerbtes Haus, kuriose Figuren und einen spannenden Plot darüber, was passiert, wenn man sich die Identität eines anderen unter den Nagel reißt und sich dadurch sehr gravierende, völlig unerwartete Probleme aus einem fremden Leben aufhalst.
Bekommen habe ich bedauerlicherweise eine mittelmäßig arrangierte Geschichte, die ich als viel zu bemüht bezeichnen möchte, die aber keine meiner Erwartungen aus dem Klappentext im Entferntesten befriedigt hat.
Der Hauptprotagonist erbt unverhofft ein Haus, gibt seinen ungeliebten Job auf und philosophiert bzw. schwafelt auf den ersten 80 Seiten wie ein nutzloser Adeliger bei Dostojewski nahezu ausschließlich über die Langeweile und das Nichtstun. Nachdem ich als Leserin bis zu diesem Punkt mehrmals fast eingeschlafen bin, kommt endlich Leben in die Bude, da die Nachbarn auftreten. Diese weisen in der Geschichte zwar einige kuriose, teilweise auch witzig beschriebene Facetten ihres Charakters auf, sind aber insgesamt so unvollständig skizziert, dass sie weder glaubwürdig noch mit irgendeiner Tiefe herüberkommen. Anschließend hat sich der Autor die bereits angesprochenen Troubles durch den Identitätsdiebstahl einfallen lassen, die zwar zu Beginn auf ein spannendes Drama hoffen lassen, aber danach auch explosionsartig verpuffen, weil sich die Hauptfigur – wie offensichtlich auch die Imagination und Fiktionsfähigkeit des Autors – feige aus dem Staub macht.
Ebenso wie beim Plot und bei der Figurenentwicklung ging es mir mit der Sprache. Die Beschreibungen weisen zwar vereinzelte fabulatorische Lichtblicke auf, sind aber teilweise zu gewollt ambitioniert, gestelzt konstruiert und von sehr schwankender Qualität.
Der Roman hat durchaus Potenzial, wenn der Autor auf mich hören würde, würde ich ihm raten, das Grundgerüst der Geschichte und ein paar geniale Szenen stehenzulassen und ansonsten nochmals komplett von neuem zu beginnen.
„Eigentlich habe ich mir angewöhnt, die Jugend zu bedauern, wie sie so gedankenlos und gottverlassen in den Sog des gut ausgepolsterten Untergangs gerät, mit elektronischen Geräten ausgerüstet, die – auch bei Doris – unentwegt piepten und zitterten und etwas mitteilten, das buchstäblich keinen interessierte, das aber aus einem geheimen Zwang zur Kenntnis genommen und verarbeitet werden musste, weil man sonst außerhalb der Welt und des Interesses stand. Paradoxerweise musste auch dann etwas berichtet werden, wenn es nichts zu berichten gab, um die Verbindung nicht abreißen zu lassen, das war das Gesetz, an das sich alle hielten.“
Fazit: Eine überambitionierte Geschichte mit Potenzial, die noch viel Luft nach oben offen lässt.