Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres
Ehrlich gestanden bin ich mittlerweile ein Fan von Sebastian Fitzeks Werk und meiner Meinung nach wird der Schriftsteller auch von Buch zu Buch besser, da er seine Stärken, brandaktuelle Themen sehr innovativ in seinen Romanen einzubauen, betont und seine typischen Schwächen damit in einem besseren Licht erscheinen lässt. Weiters hat sich dieser Schlawiner* von Autor diesmal zusammen mit seinem Verlag wieder was Besonderes ausgedacht, um seine Fangemeinde und die Öffentlichkeit fiktional, literarisch, real und marketingtechnisch derart erfolgreich und gnadenlos hinters Licht zu führen, dass es eine Freude ist.
Seine Hauptfigur, Kriminalschriftsteller Max Rhode ist im Thriller „Das Joshua Profil“ nicht nur eine erfundene Person, sondern beim Blättern durch die Seiten des Buches kommt der Leser schnell zur Erkenntnis, dass Rhodes erwähntes Erstlingswerk „Blutschule“ bereits seit Monaten in der Realität bei Bastei-Lübbe veröffentlicht wurde. Der Autor wurde vom Verlag als scheue Person vorgestellt, die zurückgezogen im Südwesten von Berlin lebt und der digital vernetzten Welt kritisch gegenübersteht, weshalb man ihn weder auf Facebook noch auf Twitter findet. Mitte Oktober platzte dann die Bombe: Fitzek hat unter dem Pseudonym Max Rhode gleich auch das Prequel zu seinem Thriller Joshua-Profil geschrieben – quasi die Vorgeschichte, das uralte Trauma von Max Rhode, das in Blutschule verarbeitet wurde. Was für ein genialer Marketinggag (Pressemeldung)!
Nun aber zurück zum Joshua-Profil. Die Story adaptiert das alte Science-Fiction Meisterwerk von Philip K. Dick – Minority Report aus dem Jahr 1956 – auf die Gegenwart. Verbrechen werden aber nicht durch Pre-crime mit drei Wahrsagern in einer Nährlösung schwimmend vorhergesagt, sondern es werden alle möglichen öffentlichen und privaten Profile im Internet, Bilder von öffentlichen Kameras, Bewegungsprofile mit dem Handy, Zahlungstransaktionen….… in Form von BIG DATA ausgewertet und durch vordefinierte Regeln – auch Ontologien genannt – potenzielle Täterprofile erstellt. Joshua ist somit kein Mensch sondern eine semantische Software, die Verbrechen punktgenau voraussagt.
Mit Erschrecken stellt der Leser fest, dass solche Software tatsächlich bereits im Einsatz ist (Precobs heißt die Software in NRW, Deutschland), wir hier also überhaupt nicht mehr von Fiktion sprechen. Dieses Thema ist insofern auch topaktuell, als viele Innenminister und Politiker angesichts der Vorkommnisse von Paris in den letzten Wochen nach noch mehr Überwachung und länger gespeicherten Daten lechzen. Die Aussage der Überwachungsfanatiker „Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch nichts zu befürchten“, sollte unbedingt nochmal überprüft und in der Gesellschaft breit diskutiert werden. Mein ehemaliger Chef auf der Universität Linz Manfred Pils hat bereits 1981 zum Thema Kontextverluste bei der Bearbeitung von personenbezogenen Daten seine Habilitation geschrieben und deutlich dargelegt, was passiert, wenn Daten in solchen Systemen falsch interpretiert oder zugeordnet werden. Dazu leistet auch Fitzek mit diesem Roman seinen wertvollen Beitrag. Wir sollten nicht bereitwillig und leichtfertig Privatsphäre und Bürgerrechte aufgeben, denn 100% Sicherheit kann ohnehin nicht erlangt werden.
In der Geschichte gerät die Hauptfigur Max Rhode durch Rückschlüsse der Joshua-Software verdient oder unverdient ins Visier der Verbrechensbekämpfung. Was dann folgt ist ein atemberaubend furioses Verwirrspiel um seine entführte Tochter Jola, da mehrere Parteien – sowohl eine Gruppe zur Verbrechensverhinderung als auch Datenschützer – sich aktiv und kriminell in das Geschehen einmischen und die Handlung massiv beeinflussen. Bis zum Schluss weiß der Leser nicht, warum Max Rhode tatsächlich derart ins Fadenkreuz der Software geraten ist.
Die typische Schwäche von Fitzek, dass die Handlung in seinen klassischen Thrillern etwas zu konstruiert gerät und der Zufall viel zu oft eingesetzt wird, gilt in diesem Werk nur mehr in ein paar wenigen Situationen, denn nahezu gar nichts ist zufällig – die elektronischen Systeme melden und steuern fast alles.
Fazit: ein rasanter, topaktueller, wissenschaftlich fundierter, großartiger Thriller, der den Leser und mündigen Staatsbürger gehörig zum Nachdenken animiert
* Gauner (liebevoll), pfiffiger gerissener Mensch