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awogfli

Awogfli - Bookcroc

Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres

Ein kräftezehrender Abstieg in die Tiefen der deutschen Seele

Kindheitsmuster (Broschiert) - Christa Wolf

Dieses Werk von Chista Wolf polarisiert offensichtlich sehr stark zwischen völliger Begeisterung und totaler Ernüchterung und ehrlich gesagt konnte ich persönlich beide Positionen gleichermaßen nachvollziehen, wodurch sich meine Beurteilung konkret in der Mitte manifestiert.

Stilistisch und erzähltechnisch war es extrem mühsam, so indirekt, so verkopft, so verklausuliert durch die vielen fiktiven Figuren, Rückblenden und auch durch die massiven Gedankensprünge. Am schlimmsten habe ich die Plotkonstruktion empfunden, diese fiktive Biografie dieser Abstand zu den Figuren diese Selbstanalyse (sowas kann ich gar nicht ausstehen) und diese 3-5 Zeitebenen in fast jedem Absatz (Krieg, 74 und dazwischen).

Aber so mühsam ich mich durchquälte, muss ich der Autorin schon den Verdienst lassen, dass dieser unsägliche Stil nicht (ausschließlich) dazu da wäre, den Leser böse zu quälen, sondern auch eindeutig eine Botschaft vermittelt: die Zerrissenheit, die Verdrängung und die Schizophrenie dieser Generation. Dadurch zieht sie auch einen Bogen von der Kriegsgeneration bis in die Jahre von 1975.

Wenn das ganze Werk jetzt auch noch intellektuell eitel wäre, indem es diesen Stil vermittelt, hätte ich die Autorin eh schon böse abgestraft, aber ich nehme Christa Wolf zudem ab, dass sie eben als Kind dieser Zeit so kompliziert ist und mir das authentisch präsentiert.

Ja so schätze ich ihren Roman ein: intellektuell spröde, verschachtelt, ein Werk, in dem man das Gefühl hat, im Hirn bzw der Imagination der Frau Wolf zuerst Tonnen von Masken, Schichten und Spinnweben wegzuräumen, bis man zu Pudels Kern kommt. Und das ist auch das, was sie mir von dieser Generation mitgegeben hat. Einen Ausbund an Verdrängungmechanismen, die erst durch einen Schlagbohrer entfernt werden mussten, um die Essenz der Protagonistin - beziehungsweise, da sie ja so umfassend Personal einführte -  die Essenz des des gesamten Deutschen Volkes freizuschrammen. Und das macht sie schmerzhaft mit jeder einzelnen verdammten Stimmung: Begeisterung, Sportsgeist, Heldenverehrung, Lehrerverehrung, Hitlerverehrung, Corpsgeist, Abwertung von anderen, Umwandlung von Angst in Hass, Verrohung und Herabsetzung von Ausländern, Armen und kranken Menschen, Flüchtlingen ... . Im Prinzip wird in einem Rundumschlag eine jede Gefühlsregung des Deutschtums seziert, auseinandergenommen und auf die Familie der Protagonistin übertragen. Dies gibt mir als Leserin auf sehr beschwerliche Weise ein tiefes Verständnis des Deutschtums und wie so etwas passieren konnte.

Ob sich die Mühe gelohnt hat, ist nun der Knackpunkt, und da bleibe ich bei fivty-fivty. Ein bisschen zu lang hat mir die Anstrengung schon gedauert, wenn ich einen Monat für ein Buch brauche und dann auch noch eine kleine Pause dazwischen, weil ich es nicht mehr aushalte. Lesen sollte zwar nicht nur Vergnügen bereiten, aber nur Qual ist auch ein bisschen zu viel. Ich gehöre nicht zu den Literaturflagellanten.

Fazit: Die Botschaft des Romans ist gut und bei mir angekommen. Der Weg über den Dachboden des Geistes und der Imagination der Protagonistin und der Autorin war mir aber ein bisschen zu staubig.

P.S.: Ach ja  dann habe ich auch noch einen kapitalen intellektuellen Schnitzer in dem so auf intellektuell getrimmten Werk gefunden. "Im Jahr der Olympiade", ein Oxymoron, wo es doch 4 Jahre sind. Erwischt Frau Wolf, erwischt Surkamp Lektorat!