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awogfli

Awogfli - Bookcroc

Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres

Qualityland - die Zukunft die Du Dir nicht wünschen willst - die Du aber nicht verhindern kannst

QualityLand (Dunkle Edition) - HörbucHHamburg HHV GmbH, Marc-Uwe Kling, Marc-Uwe Kling

Wenn ein berühmter Autor mit einer sehr erfolgreichen Figur sich aus seiner Komfortzone herausbegibt und etwas völlig neues kreiert, dann ist das erstens schon mal sehr innovativ, kann aber entweder total in die Hose gehen, oder sehr gut werden. In diesem Fall ist Qualityland sowas von der Turbo, der ultimative affengeile, neuartige, politische dystopische Science Fiction Roman, der so gut ist, dass ich das Känguru, das ich geliebt habe, fast schon vergessen habe. Für mich war es sogar der beste Roman (respektive das Hörbuch, denn Marc-Uwe Kling perfomen zu hören, sollte man sich nicht entgehen lassen) von allen Büchern seit 5 Jahren.

Es geht um Qualityland, ein fiktionales Land in einer relativ nahen Zukunft. Marc–Uwe Kling extrapoliert die technologischen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen… Entwicklungen der Gegenwart im Zeitalter der Digitalisierung, Automatisierung, Vernetzung und des gläsernen Menschen, verzerrt sie und wendet sie auf die Spitze getrieben auf die nahe Zukunft an.

 

Die industrielle Fast-Food Ernährung wird mit FESATZU’s 1/3 Fett, 1/3 Salz, 1/3 Zucker abgewickelt. Es gibt eine große Plattform genannt THE SHOP, die aus den zahlreichen Vergangenheits-Profildaten zukünftige Bedürfnisse automatisiert berechnet extrapoliert und die Produkte unbestellt mit Drohnen zustellt. Die Medizin wird mit Nanorobots und Sensoren abgewickelt. Die Pharmafirma DASGUTEZEUGS misst mit Sensoren die medizinischen Bedürfnisse, stellt in Losgröße 1 die ultimative Tablette unaufgefordert her und lässt sie per Drohne liefern. Dass massig private DNA Daten von der Firma gesetzwidrig abgegriffen werden, tut dem Höhenflug des Aktienkurses keinen Abbruch.
Das Geldsystem ist eine Weiterentwicklung von Bitcoin und Facebook heißt jetzt Everybody, weil Everybody in Social Media sein muss. Keiner (Ok fast keiner) kann der Datensammelwut und der Digitalisierung entkommen, die Leute heißen in Familiennamen nach den Berufen ihrer Eltern, damit soziale Schichten fast in Beton zementiert sind. Das sind nur ein paar der wundervollen Ideen, die im Stakkato auf den Leser oder Hörer einprasseln. Ich habe mich nicht einmal eine Zehntelsekunde während des Werkes gelangweilt.

Die Hauptfigur, Peter Arbeitsloser ist wie sein Familienname schon sagt ein richtiger Verlierer in diesem System, der eine Schrottpresse betreibt. Sein virtuelles Profil weist ein ganz niedriges Wichtigkeitslevel auf, was sowohl die Freundlichkeit der Transportsysteme, die Partnerwahl einfach seine gesamten persönlichen, ökonomischen Möglichkeiten der Interaktion beschränkt.

Ein wichtiges Thema im ganzen Werk ist auch noch der Wahlkampf in dem Heinz Koch (ja sein Vater war Koch) gegen den Androiden John-of-us der Fortschrittspartei antritt. Was dann folgt, ist ein Lehrstück an politischer Satire, denn der Android John-of-us argumentiert als Rechner basierend auf Logik, Wahrheit und Spieltheorie zum Wohle aller Menschen – die Partei von Heinz Koch ist die typische Politikerkaste korrupt bis in die Knochen. Der Wahlkampf in Qualityland gleicht in vielem dem von Österreich:

„Seit wann haben die Nutzlosen schon jemals eine Regierung gewählt, die Ihre Interessen vertritt? Scheiß auf Argumente, es zählen nur Emotionen. Können wir diese sinnlose Diskussion über Inhalte jetzt endlich beenden?"

Obwohl der Android  natürlich gegen das manipulierte Volk und gegen die korrupten populistischen Demagogen der Gegenpartei eine denkbar schlechte Ausgangsposition hat, weiß er seine Vorzüge gut einzusetzen und gibt auch ein bisschen Hoffnung für die Zukunft. Wie Ihr seht, bin ich voll für den Androiden und nicht für die Menschen in diesem Wahlkampf aber John-of-us steht einfach für eine ehrliche, sachlich basierte Politik.
 
Manche haben sich über Marc-Uwe Klings Hang zu Kalauern beschwert, aber dieser Humor ist für mich weitaus mehr als schenkelklopfender Witz, denn wenn man die zugrundeliegenden Theorien aus Wirtschaftsinformatik, Politik, Soziologie, VWL und Philosophie kennt und unterrichtet, ist es gleich zehn Mal so witzig. Marc- Uwe Kling hat sie fast ALLE  genial identifiziert, richtig zitiert, abmontiert, dann durch den Qualityland-Wolf gedreht und dystopisch korrekt verwurstet: z.B. Adorno, Asimovs Gesetze, der Turing Test, der Gottesbegriff als allwissende Maschine = Omnius, ist Gott wohlwollend, feindselig oder gleichgültig, das Peter Pprinzip wird zum Peter Problem und allg. postuliert…. um nur einige zu nennen.

Da sind wir schon bei der prinzipiellen Aussage:  Das alte Peter Prinzip aus der Betriebswirtschaft– wird zum Peter Problem transferiert, gegen das der Protagonist kämpft. Die virtuellen Profile und die darauf angewendeten Onthologien (hier eigentlich fälschlich Algorithmus genannt - zwecks des perfekten Reimes "das ist der Algorithmus, wo jeder mitmuss") sind falsch und kreieren eine self fullfilling prophecy, also eine sich selbst erfüllende Prophezeiung bzw. ein bestimmtes fremdbestimmte Leben ohne Wahlmöglichkeit und eigenem Willen. Mein erster Chef auf der Uni Linz hat sich übrigens schon 1981 mit dem Thema, dass bei Profilinformationen falsche Schlüsse gezogen werden können, in seiner Habilitation beschäftigt. Dort heißt das Problem aber nicht so einfach Peter Problem sondern Kontextverluste in betrieblichen Informationssystemen  

So kämpft der Verlierer Peter Arbeitsloser wie Don Quixote gegen das System - aber wahrscheinlich sogar ein bisschen erfolgreicher - während im Land der gnadenlose Wahlkampf tobt, der die übelsten Intrigen und absurdesten Dinge an die Oberfläche der Wahrnehmung der Gesellschaft und des Lesers spült. Unterstützt wird er dabei von KIKI, einer Hackerin, die auch gleich für die Liebesgeschichte in der Story steht und von einer Gruppe mehrerer ausgemusterter elektronischer Geräte, die Peter nicht übers Herz brachte, zu verschrotten. Herrlich subversiv, anarchisch und klug konzipiert.

So mehr möchte ich nun nicht mehr verraten bis auf die Werbeeinschaltungen in Qualityland, die sind köstlich und fast ein eigenes Kunstwerk (wahrscheinlich wird da irgendwann wieder ein Spiel daraus gemacht).

Einen letzten Hinweis habe ich noch – unbedingt das Hörbuch nehmen. Marc Uwe liest nicht, als Kleinkünster performt er das Stück, und das solltet Ihr Euch nicht entgehen lassen.

Fazit: Keine Sekunde gelangweilt, viele Szenen mehrmals gehört – ES IST GRANDIOS - 10 von 5 Sternen!!!!