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Awogfli - Bookcroc

Ich bin Buchgourmet und Buchgourmand quer durch viele Genres

Sprachakrobatik und Beziehungen

Verteidigung der Missionarsstellung - Wolf Haas

Nein, in diesem Roman geht es nicht um Sex, sondern um eine kurzweilige Geschichte über Beziehungen und die Liebe aber vor allem um ein grandioses exzessives Spiel mit der Sprache.

 

Einigen von Euch wird Wolf Haas mit seinen Brenner-Kriminalromanen, die auch verfilmt wurden, im Gedächtnis sein. Auch ich habe bereits auf diesem Blog vor Jahren eine Book2movierezension über den Autor veröffentlicht. Aber Wolf Haas kann nicht nur einen minimalistischen Schreibstil wie in den sehr berühmten Krimis perfekt konzipieren, als studierter Linguist treibt er in diesem untypischen Roman mit der Sprache seine Späße, und das auf derart hohem Niveau, dass sich eine kindliche literarische Freude und das reine Lesevergnügen einstellen. Das beginnt mit ausländischen Angebeteten, die deutsche Sprache zwar sehr gut aber nicht perfekt beherrschen, was zu den köstlichsten Dialogen führt. Da werden Umlaute wie Ü komplett an der falschen Stelle gesetzt, dann wird sinniert, welche Wörter es im Englischen im Vergleich zum Deutschen nicht gibt. Weiters wird thematisiert, dass sprachlich immer die Ausnahmen von der Regel mit eigenen Wörtern bezeichnet werden, mit Ausnahme des Geschlechtsverkehrs, denn da hat auch die gewöhnliche Stellung einen Namen: Womit wir beim titelgebenden Wort – Missionarsstellung – wären, das eben tatsächlich nichts mit Sex in der Handlung zu tun hat. Haas spielt auch massiv grafisch und mit Typografie, um mit der Sprache seinen Schabernack zu treiben, da gibt es Texte in Kringeln, versetzt auf mehreren Seiten, Noten, Chinesische Schriftzeichen etc.. Ich als Leserin kam mir vor wie ein staunendes Kind, das lustvoll seinen Geist in ein Meer aus Sprachspielen und Rätseln taucht – wie Charly in der Schokoladenfabrik seine Finger in die Bottiche.

„Bist Du Vechetarier?“
„Nein“, sagte Benjamin Lee Baumgartner, obwohl er Vegetarier war.
„Und stört es Dich, wenn ich Gevögel bestelle.“
„Gevögel?“
„Vögelfleisch.“
„Geflüüügel!“
„Geflüüügel.“

„Hör auf mit diesem Unfug. Ich mache meinen Augen zu, und Du darfst mich nicht wieder kussen wie vorhin auf der Brucke. Ich habe Dir schon gesagt, warum nicht.“
„Ich will Dich nicht küssen. Ich will Dich schon küssen, ich schätze die Wahrscheinlichkeit, dass Du mich innerhalb der nächsten fünf Stunden küssen wirst, mit einer achzig- bis neunzigprozentigen Kusswahrscheinlichkeit sogar sehr optimistisch ein, jetzt aber will ich Dir nur eine Rätselfrage stellen, die ganz harmlos ist.“

Ein bisschen erinnert mich das ganze an James Joyces Ulysses – was sicher ein wenig als Vorbild diente – mit dem Unterschied, dass ich hier an einem Sprachspiel teilnehmen kann, das ich weit besser bis in die kleinsten Feinheiten in Originalsprache verstehe und nicht auf irgendeine Übersetzung angewiesen bin. Zwei weitere Vorteile hat das Haas’sche Werk auch noch: Erstens ist es kürzer und zweitens ist der Plot inhaltlich wesentlich (und jetzt ducke ich mich gleich weg, weil sprichwörtlich auf gut österreichisch die Hackln fliegen könnten) besser. Joyce hat mich immer mit seiner Imballance zwischen belanglosem Inhalt – dieser Gossip (wer mit wem) in Dublin, durch die Straßen wandern, Essen und Ausscheidungen, das war ja fürchterlich – und den überkandidelten sprachlichen Manierismen sehr genervt.

 

Bei Haas finde ich es ausgeglichen, denn er schreibt auch inhaltlich eloquent und kurzweilg über das banalste und gleichzeitig wahrscheinlich wichtigste Dauerthema der Literatur: über das Verlieben, die Liebe und Beziehungen.

 

Es geht um Wolf Haas und seinen Freund, Benjamin Lee Baumgartner, der immer, wenn er sich verliebt, in eine gefährliche Pandemie gerät. Auch hier wird wundervoll thematisiert, dass ein zeitlicher Zusammenhang im Deutschen nicht unbedingt eine kausale Korrelation nach sich zieht, obwohl man beides gleich ausdrückt. Allmählich wird in der liebenswürdigen Geschichte aber klar, nach der BSE-Krise in London 1988, Vogelgrippe 2006 in Peking und Schweinegrippe 2009 in Santa Fe könnte auch der hartnäckigste Verschwörungstheorieverweigerer draufkommen, dass es einen kausalen Zusammenhang geben könnte.  In Liebesdingen gibt es selbstverständlich auch einige ernsthafte amouröse Verwicklungen, denn Benjamin Lee Baumgartner ist nicht der ehrlichste, zuverlässigste Typ und auch selten Single, wenn er sich neu verliebt.

 

Zwei Kleinigkeiten haben mich ein ganz kleines bisschen gestört. Wolf Haas, der ja als Figur und Autor mitspielt, lässt manche Passagen des Romans unfertig und präsentiert dem Leser eigene Verbesserungsvorschläge und Anmerkungen zur Überarbeitung. Das war am Anfang noch lustig, nervte mich aber letztendlilch schon etwas. Außerdem gibt es einen logischen Fehler inklusive einer wesentlichen Auslassung im Plot. Die dritte Liebesbeziehung war gar keine, denn Benjamin Lee trifft völlig unvermutet seine eigene Tochter, fällt auf Grund der Schweinegrippe in Ohnmacht und trifft sie nicht mehr an, als er aus dem Krankenhaus entlassen wird. Dann wird dieser Erzählstrang aber völlig ignoriert. Nie wird thematisiert, ob sich Benjamin überhaupt auf die Suche gemacht hat. So etwas mag ein Mann verstehen, ich kann das einfach nicht, denn so etwas auf sich beruhen zu lassen, ist für mich sehr unlogisch.

 

Das Ende des Romans ist wieder von einer Genialität konzipiert, die atemberaubend ist. Benjamin verliebt sich in Deutschland und ich musste mir auf den Kopf schlagen, denn diese Seuche habe ich schon längst verdrängt. Ratet mal! 

 

Fazit: Wer sich gerne auf Sprachspielereien einlässt, wird restlos begeistert sein, aber der Roman ist zudem auch noch eine gute Geschichte über die Liebe und Beziehungen.